Norddeutscher Rundfunk

Geschäftsführender Vorsitzender der ARD
Herrn Lutz Marmor
Rothenbaumchaussee 132

20149 Hamburg

30.01. 2015

Sehr geehrter Herr Marmor,

angesichts der neuesten Pressemeldungen, dass ARD und ZDF für die Übertragung der Fußballweltmeisterschaften 2018 in Russland und Katar 2022, einschließlich der Übertragung der Frauenfußballweltmeisterschaft 2019, Rechtepakete erworben haben, die die bereits exorbitanten Kosten der Übertragungsrechte der WM Brasilien um weitere Millionen überschreiten, stehen vielen Kulturschaffenden, deren Etats sich zusehends am unteren Limit bewegen, die Haare zu Berge. Hinzu kommen ähnlich horrende Summen für die Übertragung der Fußballeuropameisterschaften und der Olympischen Spiele 2016.

Wir verstehen wirklich „die Welt“ der Schaffung, Darstellung und Förderung von kulturellen Werten nicht mehr. Für die Sportrechte im Bereich des Mainstream-Sports werden unglaubliche Millionen investiert, im Bereich der Musik in Rundfunk und Fernsehen wird mit Rotstift ohne Ende gekürzt und Einsparungen an allen Enden vorgenommen: Rundfunkfunk-Orchester und -Chöre im Bereich Jazz und Klassik werden weggespart, Kulturredaktionen werden ausgedünnt oder zusammengelegt, Honorare für Auftragskompositionen (im Bereich Film / TV, Hörspiel, Feature, Dokumentation wie der Konzert- , Kammermusik- und Jazzproduktionen) werden reduziert oder eingespart, Eigenproduktionen, die Musik mit redaktionellen Beiträgen begleiten und kuratieren, werden marginalisiert.

Um gleich klarzustellen: Auch viele kreativ Tätige im Musik- / Kunstbereich sind durchaus sportbegeistert. Aber stimmen hier die Relationen noch? Kultur und Sport finden auch in Nischen statt und nicht nur im Massenbereich. Gerade die (vom Brüssler Europagedanken) geförderte kulturelle Vielfalt findet in Nischen, in geographisch lokalen und gesellschaftlich individuell geprägten Zonen und nicht in der international gleichförmigen Masse statt. Es geht um kulturell identitätsstiftende Mechanismen, deren behutsame Pflege und Erhalt in einer globalisierten Welt eine eher gewichtigere Rolle spielen werden.

Aus den von ARD und ZDF seit Herbst 2013 veröffentlichten Zahlen geht hervor, dass die Sportberichterstattung im Vergleich zu anderen Sparten enorme Summen verschlingt, und hier speziell die Fußballberichterstattung. Die Relationen dürften sich aufgrund der neu veröffentlichten Zahlen eher weiterhin zu Lasten der Musikkultur verschieben.

Anders als bei den Zuwächsen beim Sport wurden in den letzten Jahren, wie oben ausgeführt, im Bereich der Musik in Rundfunk und Fernsehen enorme Kürzungen vorgenommen. Dies und die gleichzeitige Veränderung des Nutzerverhaltens durch die digitalen Techniken (Streaming, Internetportale etc.) haben für Komponisten und Urheber zur Folge, dass eine angemessene Vergütung ihrer kreativen Leistungen nicht mehr garantiert ist. Ihre Einkommensentwicklung gleicht einer Abwärtsspirale.

Die Expansion des digitalen Marktes mit all seinen Folgen für das Nutzerverhalten wird nicht aufzuhalten sein. Aber, der öffentlich-rechtliche Rundfunk könnte eingenommene Mittel ausgewogener und gerechter verwenden, um dem Kulturauftrag im Sinne des Staatsvertrages (§ 11) zu genügen, und zwar „die kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen“ und „Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“.

Prof. Dr. Enjott Schneider   Dr. Ralf Weigand
Präsident     Vizepräsident