Enjott Schneider
Mit Udo Jürgens, unserem Mitglied im Deutschen Komponistenverband, verstarb am 21. Dezember 2014 ein Komponist und Allround-Musiker der Extraklasse. Sein Leben und Werk sind derart facettenreich, dass sie sich jeder Kategorisierung entziehen. Dies fängt schon mit einer nationalen Zuordnung an: er war Österreicher, hatte auch Schweizer Staatsbürgerschaft, seine Mutter stammte aber aus Schleswig Holstein, sein Vater wurde als Sohn eines deutschen Bankdirektors in Moskau geboren, flüchtete dann im 1. Weltkrieg nach Schweden, zog dann nach Kärnten auf das Gut Schloss Ottmanach… Udo Jürgens war schlichtweg Kosmopolit, so wie auch seine Lieder (die sich ebenfalls einer Klassifizierung entziehen und irgendwo glanzvoll zwischen Chanson, Jazz und Pop oszillieren) sich quer über den Erdball wiederfinden, – in Tourneen bis Japan oder Australien. Vom „Europäer“ Udo Jürgens stammt bezeichnenderweise die Feststellung: Europa ist die beste Idee, die dieser Kontinent seit tausend Jahren hatte!
Nachrufe und Würdigungen sind in den vergangenen Tagen ohne Zahl geschrieben worden. Udo Jürgens Erfolge und Verdienste müssen ein ‚Everest’ genannt werden und können allenfalls erahnt werden: mit über 105 Millionen verkauften Tonträgern gehört er zur S-Klasse der erfolgreichsten Solokünstler der Welt; die Liste seiner national und international hochkarätigsten Auszeichnungen und Ehrungen ist endlos… Deshalb erlaube ich mir, nur aus dem kleinen Radius des persönlichen Eindrucks diesem Ausnahmemusiker meine Verehrung auszudrücken: Ganz frisch ist zweifellos der sympathische Auftritt am 8. Mai 2014, als er anlässlich des 80. Geburtstags den Deutschen Musikautorenpreis für sein Lebenswerk erhielt. Hier war er akklamierter Autor unter Autoren und eroberte mit seiner gesungenen Danksagung am Klavier – quer durch alle Genres und Typologien von Kollegen – mühelos die Herzen. Niemand hielt es für möglich, dass in solchem Alter eine so junggebliebene Stimme, so ein jugendlicher Idealismus, so eine Lust an Zukunftsvisionen… und solch eine Perfektion einen unprätentiösen Zusammenklang ergaben.
Bereits 2004 – anlässlich seines 70. Geburtstages und der Ehrung durch den Deutschen Musikverleger-Verband hatte ich die Ehre, im Festkonzert neben ihm zu sitzen und im Gespräch das Funkeln seiner Bildung und seines Wissens erspüren zu können. Von mir wurde damals ein recht avantgardistisches Orchesterwerk „Tinguely Machine“ uraufgeführt. Zu meiner Verblüffung wusste Udo Jürgens damit fachmännisch umzugehen, hatte analytischen Zugang und zeigte bezüglich des Repertoires und der Stilistik von Neuer Musik sich als extrem bewandert, wusste Details zu schätzen. Dies ist – so meine ich – seine Einmaligkeit: er ist mit allen Wassern des Showbiz, kommerziellen Erfolgs und Entertainments gewaschen, – aber besitzt darüber hinaus eine genuine Ader für zeitlose Bildung und Kultur. In seiner Vita blitzt dies immer wieder auf: Beispielsweise war sein Onkel mütterlicherseits der Dadaist Hans Arp (seine Mutter Käthe war eine geborene Arp), der nach dem 1. Weltkrieg zur Spitze der europäischen Avantgarde zählte. Sein Bruder Manfred Bockelmann (so der bürgerliche Nachname von Udo Jürgens) ist ein bekannter Maler und Fotograf. Dass er Musik am Mozarteum in Salzburg studierte, war geradlinige Konsequenz. Zu seinem Schaffen gehören neben Bühnenwerken/Musicals auch symphonische Kompositionen (aufgenommen von den Berliner Philharmonikern) wie Wort und Krone der Schöpfung.
Das alles hat nun ein abruptes Ende gefunden, für alle – die ihn kannten – ein unfassbarer Schock. Mitten im Leben hieß seine letzte Konzerttournee, die noch am 11. und 12. Dezember (zehn Tage vor seinem Tod) im Berliner Velodrom stattfand. Diesen plötzlichen Tod wage ich als seinen ‚Genieblitz’ hinzustellen, – ein krachender und alle Welt aufrührender Paukenschlag wie alles, was Udo Jürgens den Mitmenschen zu bieten hatte! „Heldentod“ nannte man dies früher. Einem großen Herrscher und Helden ziemte es niemals, krank und schwächelnd im Bett von dieser Welt zu gehen. Unser Bildnis von Udo Jürgens wird deshalb riesengroß bleiben. Keine Demontage eines Denkmals, kein Nachlassen von Kraft. Kreativität, Vitalität, …und Genialität pur. Herzlichen Dank, Udo Jürgens.