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… AND I PLAY GUITAR

von Martin Steuber

Als ich im Oktober 2019 nach einem Konzert in Berlin mit einem Kollegen auf der Rückfahrt nach Leipzig war, entspann sich ein interessantes Gespräch darüber, wie viel einfacher es doch Anfang der 2000er Jahre war als freischaffender Musiker Konzerte und Auftrittsmöglichkeiten zu bekommen, generell sprachen wir über den Zustand der freien Szene und im Besonderen der „Neuen Musik“ Szene heute – nichts ahnend fuhren wir dahin und stiegen 2020 aus – wie alle.

Oft musste ich im Frühjahr 2020 an diese Autofahrt denken – auch und vor allem weil der Gedanke an ein Soloprogramm dort seinen letzten nötigen Anstoß erfuhr. So entstand konkret in dieser Zeit die Idee zum Soloprogramm „…and I play guitar“ – eine Auseinandersetzung mit meinem eigenen musikalischen Weg und meinem Verständnis des Instrumentes Gitarre. Hinzu kam die Fragestellung nach dem Begriff „Virtuosität“ und seiner Verortung in der heutigen Konzertpraxis.

Das Programm sollte neue und alte Musik beinhalten, weil das im musikalischen Sinne meine beiden Hauptbetätigungsfelder sind. So wählte ich zunächst 2 „Klassiker“ der modernen Gitarrenliteratur aus, zum einen Luciano Berios „Sequenza 11“ und zum anderen Tristan Murails „Tellur“. Beide Werke haben eine erfolgreiche Interpretationsgeschichte, es sind beides (insbesondere „Tellur“) Kompositionen, die sich idiomatischer Techniken bedienen, ohne idiomatisch zu wirken.

Das Instrument Gitarre ist – wie schon Hans Werner Henze sagte „ein Instrument voller Limiten aber auch ungeahnter Tiefen“, eben ein sehr charakterstarkes Instrument.

Die beiden genannten Werke schaffen es, sich des Charakters der Gitarre zu bedienen, um  – ohne Klischees zu erfüllen –  damit jeweils eine Komposition von großer Eigenständigkeit und Genuinität zu sein.

Demgegenüber wollte ich Stücke für Barockgitarre – einem Vorgängerinstrument der heutigen sog. Konzertgitarre – ins Programm nehmen, um eine Reminiszenz zur idiomatischen Spieltechnik in den beiden Klassikern der Moderne zu haben. Die Musik von Gaspar Sanz und Francesco Corbett ist so authentisch „Gitarrenmusik“ – die Techniken, die die angesprochene Authentizität ausmachen, begegnen uns in diesen Werken genauso wie bei Berio und Murail – bei Sanz und Corbetta noch mehr in einem musikantischen Sinn, da beide selbst Gitarristen sind und somit quasi von „innen“ auf das Instrument und seinen Klang schauen.

Als nächsten Punkt wollte ich noch neuere und neueste Musik im Programm haben. Ausserdem interessierte mich der künstlerische Kommentar zu meiner Ausgangsfrage nach der Virtuosität und Ihrer Sinnhaftigkeit. Daher beauftragte ich zwei junge Komponisten, jeweils ein Werk als Kommentar zu meiner ursprünglichen  Fragestellung – welche Virtuosität benötigen wir heute noch? – zu schreiben. Gregor Forbes und Stefan Beyer verhielten sich in Ihren Kompositionen zu dem Thema ähnlich, beide Stücke sind in Ihrer Form sehr konsequent; nicht überladen und konzis in der Materialbehandlung.

Gregor Forbes` “Diffuse Planes“ ist ein zweisätziges Werk, was mit Hilfe einer Scordatur der leeren Saiten der Gitarre in reiner Stimmung (von A ausgehend) mit akkordischem Material eine besondere Klanglichkeit aufbaut. Auf narrative Spannung wird zugunsten einer organischen Entwicklung von Klang und Textur und überraschenden Perspektivwechseln verzichtet. Durch die weit ausgeführte Behandlung immer ähnlicher Strukturen mit kleinsten Veränderungen drängt sich das Bild einer Meditation auf. Eine wunderbar in sich gekehrte Komposition und komplette Abkehr jeglicher Virtuosität im herkömmlichen Sinne.

Stefan Beyers „Clair de lune“ arbeitet mit einem Zuspiel von Sinustönen, welche über einen Kontaktlautsprecher direkt auf den Gitarrenkorpus geleitet werden. So wird das Zuspiel eher als Klang aus dem Instrument wahrgenommen, eine gelungene Abmilderung des „Fremdklangeffekts“. Gespielt wird fast ausschliesslich mit Bogen; alles kreist um den Ton Des – auch hier wird wieder mit einer reinen Stimmung gearbeitet. Die durch mikrotonale Reibungen entstehenden Interferenzen zwischen zwei Tönen sind rhythmisch motiviert und nicht dem Zufall überlassen, alles ist dem zugrundeliegenden Material untergeordnet. Das erfordert ein hohes Mass an Genauigkeit, und macht das Stück – trotz seiner komplett „antivirtuosen“ Hörwirkung auf den zweiten oder gar dritten Blick sehr virtuos.

Zu guter Letzt habe ich noch die „Momentaufnahmen / Caprichos – Reflexionen zu Goya … und darüber hinaus …“ des Fuldaer Komponisten Michael Quell aus dem Jahre 2004 ins Programm genommen. Eine Komposition bestehend aus 4 kurzen Sätzen, die Umsetzung verlangt auch hier eine mikrototale Skordatur. Das Werk fungiert für mich als ein Bindeglied zwischen den Kompositionen Berios und Murails und auf der anderen Seite den Werken von Beyer und Forbes. Interessanterweise ergibt sich auch ein weiterer Bezugspunkt im Programm: auch die barocken Werke, da sie ja auf einem Nachbau eines originalen Instrumentes gespielt wurden, sind quasi mikrotonal, da ich diese Stücke in einer mitteltönigen Temperatur realisiert habe.

Quell schafft es meisterhaft, die Gitarre mit ihren Möglichkeiten für seine komplexen Strukturen in Szene zu setzen, eine unglaublich reiche Klangentfalltung auf kleinstem Raum ist erfahrbar in diesem Werk. Hier schliesst sich wiederum der Kreis zu Sanz und Corbetta; Michael Quell ist die Gitarre sehr gut vertraut – bei aller Konsequenz in der Materialbehandlung ist alles für das Instrument geschrieben. Für mich einer der besten Beiträge der letzten Zeit für das Instrument.

Nach der Konzeptionierung und Einstudierung des Programms konnte das Rezital – auch Dank der Unterstützung des Förderungs- und Hilfsfonds des Deutschen Komponistenverbandes – in Leipzig, Freiburg i.B., Karlsruhe und Kleinsassen sowie in Polen, Belgien und Schottland aufgeführt werden – insgesamt 7 Konzerte sind 2022 schliesslich realisiert worden. Neben den Aufführungen habe ich das Programm im Juni und Juli diesen Jahres eingespielt – die Aufnahme wird demnächst beim Berliner Label „Kreuzberg Records“ erscheinen.

www.martinsteuber.de