Die Mitgliederversammlung 2014 des Deutschen Musikrates hat am 18. Oktober 2014 im Berliner Abgeordnetenhaus einstimmig die Resolution „Veränderung braucht den Dialog. Aufruf für den Schutz und die Förderung der Kulturellen Vielfalt in Deutschland“ verabschiedet. Diese enthält einen 10-Punkte-Forderungskatalog an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel zu den internationalen Freihandels- und Dienstleistungsabkommen TTIP, CETA und TiSA.
Resolution │Veränderung braucht den Dialog Aufruf für den Schutz und die Förderung der Kulturellen Vielfalt in Deutschland
Die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP sowie die mit den Verhandlungen zu
TiSA beabsichtigte Privatisierung sämtlicher öffentlicher Dienstleistungen gefährden unsere
Kulturelle Vielfalt. Wenn die öffentliche Förderung von Bildung und Kultur nicht mehr
möglich ist, weil sie in einem liberalisierten Markt eine „Wettbewerbsverzerrung“ darstellt,
dann wird an einem Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung gesägt. Die gesellschaftliche
Übereinkunft, dass Bildung und Kultur überwiegend eine öffentliche Aufgabe, in öffentlicher
Verantwortung und damit in überwiegend öffentlicher Finanzierung ist, wird durch die von
der Europäischen Union angestrebte Marktliberalisierung aufgelöst.
Die Orchester, Chöre und Ensembles unterschiedlicher Stilrichtungen und Besetzungen aus
dem professionellen Musikleben wie dem Laienmusizieren und der öffentlich-rechtliche
Rundfunk sind unverzichtbare Exponenten unserer Kulturellen Vielfalt.
Wir, die über 100 Dachverbände des Musiklebens im Deutschen Musikrat, die zusammen die
Interessen von rund 8 Millionen Menschen repräsentieren, warnen vor einer Entwurzelung
kultureller Identitäten und einem Zurückdrängen der Daseinsvorsorge, wie es bei der
Umsetzung der Freihandelsabkommen und insbesondere von TiSA vorhersehbar wäre.
Unsere Kritik richtet sich nicht an die USA, die selbstverständlich ihr eigenes Verständnis von
Kulturleben und Kommunikationsformen mit der Zivilgesellschaft haben. Wir kritisieren den
Europäischen Rat und die Europäische Kommission für eine beispiellose Intransparenz in
entscheidenden Zukunftsfragen für die Europäische Union und ihre Bürgerinnen und Bürger.
Wir kritisieren gemeinsam mit vielen Abgeordneten des Europäischen Parlaments die
Gefährdung der Kulturellen Vielfalt durch die marktradikalen Liberalisierungsbestrebungen
der Europäischen Kommission.
Deshalb fordern wir Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel auf:
1. das Verhandlungsmandat der Europäischen Union zu TiSA offenzulegen und den kompletten Verhandlungsstand zu TTIP öffentlich zugänglich zu machen,
2. den Dialog mit und die Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft, z.B. über Anhörungen,
zu befördern,
3. die Verhandlungen zu TTIP und TiSA so lange zu stoppen, bis eine voll umfängliche Information der Bürgerinnen und Bürger erfolgt ist,
4. die UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt konsequent in allen relevanten Bereichen künftiger Vertragswerke zu implementieren; eine Absichtserklärung in der Präambel reicht nicht aus,
5. eine Schutzklausel für Kultur, Bildung und Wissenschaft in allen Verträgen (nach) zu verhandeln, die die Freiheit der Künste, den Schutz der Urheber sowie die adäquate Ausstattung der Hoch- schulen, Universitäten, Schulen und Musikschulen sicherstellt; dazu braucht es verbindliche Positivlisten,
6. die sozialen Sicherungssysteme für im Musikbereich Tätige zu erhalten und weiterzuentwickeln,
7. die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat im Sinne gemischter Abkommen sicherzustellen,
8. Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht zuzulassen,
9. die indirekten Förderungen der Kulturwirtschaft zu erhalten,
10. Förderinstrumente zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Die Deregulierung der Märkte muss dort enden, wo gemeinwohlorientierte Aufgaben berührt werden. Europa sollte in erster Linie eine Wertegemeinschaft sein. Dazu tragen unser kulturelles Erbe, die aktuellen künstlerischen Ausdrucksformen und andere Herkunftskulturen im Sinne interkultureller Begegnungen ganz wesentlich bei.
Berlin, 18. Oktober 2014